Workshop Resilienz

Wie wir gut für uns sorgen

Diese Alarmsignale sind ernst zu nehmen.

Mann mit Burnout Syndrom
Nicht nur der Körper benötigt Pflege. Auch die Seele will Aufmerksamkeit und Fürsorge verspüren.

„Ich muss immer perfekt sein“, „erst die anderen, dann ich“, „ich darf niemanden enttäuschen“,– kennen Sie diese Sätze? Wenn ja, sind Sie nicht allein. Stress und Belastungen kommen nicht nur „von außen“, also durch bestimmte Umstände, wie Arbeitsdruck, Konflikte oder Schulden, sondern häufig auch von uns selbst. Wir pushen uns mit unseren – oft unbewussten – „Glaubenssätzen“ oder „inneren Antreibern“ noch zusätzlich, auch wenn es schon genug Stress „von außen“ gibt. Wir fühlen uns – und das ist nicht nur meine persönliche Erfahrung und die aus meiner Arbeit mit Klientinnen und Coachees – subjektiv gestresst, unter Druck und gehetzt und befinden uns im permanenten Zeitdruck und Optimierungswahn. Nach einer aktuellen Befragung von Procter & Gamble[1]  unter berufstätigen Müttern, geben zwei Drittel an, immer 120 Prozent geben zu wollen. Sieben von zehn wollen stets alles perfekt machen. Und repräsentative Umfragen unter deutschen Arbeitnehmern zeigen kein entspannteres Bild: mehr als 60 Prozent fühlen sich oft gestresst. 

Die Hälfte der Beschäftigten schätzt sich selbst als mäßig bis hoch Burnout-gefährdet ein

Es wird über körperliche und psychische Beschwerden geklagt. Zum Stress-Ausgleich schauen die Befragten hauptsächlich fern oder surfen im Internet. Jeder Dritte trinkt Alkohol, um »runterzukommen«. Offensichtlich haben viele von uns verlernt, gut für sich zu sorgen, die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und neben den Anforderungen des Alltags Ausgleich zu schaffen.  Das Thema Selbstfürsorge ist also höchst relevant. Und es hat sehr viel damit zu tun, die Verantwortung zur Gestaltung des eigenen Alltags zu übernehmen. Denn wir sind die Regisseure unseres Lebens: wenn wir nicht aktiv unser Leben in die Hand nehmen, machen das andere für uns und wir werden gelebt. Das Gefühl von Fremdbestimmung und Hetze kommt auf. Viele finden sich in einem Leben wieder, das sich gar nicht als das ihre anfühlt. Was können Sie also ganz konkret tun, um im besten Fall nicht in dieses Hamsterrad aus „Müssen“, „Getrieben sein“ und „Verpflichtungen“ zu geraten bzw. den Weg heraus wieder zu finden?

Der erste Schritt ist zu erkennen, dass es notwendig ist sich gut um sich zu kümmern.  Wir lassen uns impfen, damit unser Körper mit bestimmten Erregern leichter fertig wird, putzen Zähne um Karies zu vermeiden und waschen uns die Hände, um keine Keime zu übertragen. Wir können und müssen uns auch seelisch „pflegen“!  Aber ist das nicht egoistisch, fragen Sie sich vielleicht? „Ich kann mich doch nicht um mich kümmern, solange die To-do Liste noch nicht abgearbeitet ist, die Kinder und mein Partner noch zu wenig Zuwendung von mir erhalten und meine Freunde auch schon so lange nichts mehr von mir gehört haben….“. Doch können Sie, sollten Sie sogar, denn wenn Sie sich nicht um sich kümmern, werden Sie den Belastungen und Anforderungen des Lebens nicht dauerhaft standhalten können. Sie werden „außer Atem“ geraten, Ihr Fass wird sprichwörtlich überlaufen, Sie erschöpfen sich, werden unzufrieden, deprimiert und im ungünstigsten Fall sogar krank. Und dann können Sie auch nicht mehr für andere sorgen.

Höchste Alarmstufe: Diese Anzeichen warnen uns vor einem Burnout

Unser Körper und unsere Psyche sind die besten Signalgeber: wenn wir drohen aus dem Gleichgewicht zu geraten schicken sie uns Warnzeichen, wie Kopfschmerzen, Ohrgeräusche, Schlafstörungen, Nervosität, Unaufmerksamkeit oder Gereiztheit, um nur einige zu nennen. 

Selbstfürsorge steht also zwischen den Extremen »Aufopferung/Ausbrennen« und »Egoismus« und ist sogar die Basis für soziales Verhalten. Denn wenn wir gut für uns sorgen, uns wertschätzen, uns auch mal was gönnen,  z. B. Erholung oder Schlaf auch wenn noch nicht alle to do´s erledigt sind, unsere wesentlichen Bedürfnisse befriedigen oder für unsere Werte einstehen, sind wir viel ausgeglichener und weniger neidisch oder missgünstig anderen gegenüber.  Selbstfürsorge ist damit der Grundpfeiler sozialen Verhaltens. Vielleicht haben Sie schon mal an sich selbst beobachtet: wenn Sie vergessen zu essen, sich dafür keine Zeit nehmen und dann hungrig in eine Diskussion zum Beispiel mit Ihrem Partner gehen, dann werden Sie viel eher streiten und gereizt reagieren. Ihr Gegenüber muss Ihren unbefriedigten Hunger und ihre miese Stimmung ausbaden. 

Was hält uns denn neben der Befürchtung egoistisch zu sein noch davon ab, gut für uns zu sorgen, wo es doch so wichtig ist? Jede hat ihre eigenen Hindernisse, die es zu überwinden gilt. Die häufigsten Hindernisse zur guten Selbstfürsorge liegen aber meist in einem der folgenden Bereiche:

  • Sie kennen ihre eigenen Bedürfnisse gar nicht (mehr).
  • Sie haben hinderliche Glaubenssätze und innere Antreiber, bei deren Missachtung ein schlechtes Gewissen oder Schuldgefühle auftreten.  
  • Sie setzen die Prioritäten falsch und haben gleichzeitig ein ungünstiges Zeitmanagement bzw. wollen zu viel in der verfügbaren Zeit.

Der erste Schritt zu einem selbstfürsorglichen und selbstbestimmten Leben ist es zu identifizieren, was Sie persönlich davon abhält, gut für sich zu sorgen. Ihre persönlichen Warnzeichen kennen Sie ja bereits.

Nun stellt sich die Frage, wie Sie Ihre Hindernisse überwinden können.  

Ganz am Anfang haben Sie bereits typische Glaubenssätze kennengelernt, die uns oft unter Druck setzen und davon abhalten, gut zu uns zu sein. Es lohnt sich die eigenen Glaubenssätze zu identifizieren und zu hinterfragen, um schließlich neue Verhaltensweisen auszuprobieren. So könnte jemand, der aus Perfektionsansprüchen heraus bisher immer auch die Bettwäsche bügelt oder bevor die Gäste kommen, das ganze Haus putzt, und sich aber eigentlich unter Zeitdruck fühlt, genau diese Tätigkeiten reduzieren und schließlich auch ganz weglassen. Das wird am Anfang mit einem unwohlen Gefühl, vielleicht sogar Schuldgefühl oder schlechtem Gewissen, begleitet. Denn auf dem Weg aus der eigenen Komfortzone heraus steht eine Türsteherin und die heißt „Angst“ oder „Sorge“ (beispielsweise: „Das kannst Du doch nicht bringen“, „Was denken die dann von Dir?“, „Du darfst die doch nicht enttäuschen…!“). Es gilt trotzdem weiterzugehen und anderes Verhalten auszuprobieren und zu erleben, dass sich dieses zunächst unangenehme Gefühl mit der Zeit und ein paar Wiederholungen in ein freieres, selbstbestimmteres Gefühl wandelt und die ursprünglichen Befürchtungen meist nicht eintreten. Üben Sie in sich steigernden Stufen; Sie springen ja auch nicht sofort vom 10 Meter Brett, sondern tasten sich langsam heran. Und ja – echte Veränderung muss ein bisschen weh tun. Das merken Sie beim Sport besonders gut.

Wie finden Sie nun die nötige Zeit für sich und Ihre Selbstfürsorge? Indem Sie entdecken, was Ihnen wirklich wichtig ist im Leben, was für Sie zählt – was also Ihre Prioritäten sind. So lassen Sie sich weniger von Nebensächlichkeiten ablenken und behalten den Blick auf das Wesentliche.  

Verfassen Sie 15 min lang einen Nachruf auf Ihr Leben:

  • Wofür möchte ich meinen Freundinnen, Kollegen, Partnern, Kindern und so weiter in Erinnerung bleiben?
  • Was hätte ich wichtiger nehmen sollen, beziehungsweise was habe ich vernachlässigt?
  • In welchen Situationen (wo und wann, mit wem und was genau) war ich wirklich glücklich?
  • Was möchte ich für ein Mensch (in meinen unterschiedlichen Rollen als Mutter, Freundin, Kollegin und so weiter) gewesen sein?

Wenn wir zu Lebzeiten unser Leben „von hinten“ betrachten, bekommen wir eine Ahnung davon, was wirklich zählt. Meist sind die Begegnungen und die Zeit mit lieben Menschen gewichtiger, als Geld, Besitz oder Arbeitszeit. Kaum ein Sterbender hätte gerne mehr Zeit in der Arbeit verbracht oder mehr Dinge besessen…

Nachdem Sie sich mit Ihren Hindernissen auseinandergesetzt haben und wissen, was Ihnen wirklich wichtig im Leben ist, sollten Sie eine klare Entscheidung treffen: für sich und Ihre Selbstfürsorge als Basis für alles andere. Eine solche Entscheidung könnten Sie mit Erinnerungs-Symbolen verankern, um Ihr Ziel auch im Alltag nicht aus den Augen zu verlieren: zum Beispiel ein Foto am Schminkspiegel, ein bestimmter Bildschirmschoner am Smartphone, eine Verbündete, die Sie an Ihr Vorhaben erinnert oder der Eintrag zur Selbstreflexion im Terminkalender. Hauptsache, Sie installieren Erinnerungshilfen; für unser Unterbewusstsein sind dies hilfreiche Wegweiser. 

Wenn Sie so weit sind, haben Sie mehr als die Hälfte geschafft. Nun könne Sie sich aus einer Reihe von „Meilensteinen“, diejenigen aussuchen, die für Sie leicht im Alltag integrierbar sind. Die Meilensteine sind die Kompetenzen, die den Weg zu unserer Selbstfürsorge und damit persönlichen Widerstandsfähigkeit säumen. 

Dazu gehört es beispielsweis die eigenen Bedürfnisse zu spüren, ernst zu nehmen um dementsprechend zu handeln. Wenn Sie beispielsweise wahrnehmen, dass Sie müde sind, können Sie daraus das Bedürfnis nach Erholung oder Schlaf ableiten. Oder wenn Sie bemerken, dass Sie innerlich unruhig und angespannt sind, benötigt Ihr Körper Ruhe und Entspannung. Klingt einfach, mit ein bisschen Achtsamkeit wird Ihnen das auch gut gelingen. 

Achtsamkeit ist überhaupt ein wichtiger Faktor in Richtung Selbstfürsorge: wir wissen aus der Wissenschaft, dass wir so ein stärkeres Gefühl von Selbstbestimmung gewinnen und uns weniger fremdgesteuert und gehetzt fühlen. Unser Steuerzentrum im Gehirn wird aktiviert und wir reagieren nicht mehr im Autopilot-Modus, sondern können unsere Handlungen wieder besser regulieren. Halten Sie im Alltag regelmäßig für wenige Minuten inne, achten bewusst auf die nächsten 5  Atemzüge oder fragen sich: „wie geht es mir und was brauche ich im Moment?“  Sobald Ihre Gedanken abdriften, fangen Sie sie wieder ein und kommen mit Ihrem Fokus zurück auf das Atmen oder Ihr Befinden.

Üben Sie sich in Dankbarkeit

Ein weiterer wichtiger Meilenstein ist der realistische Optimismus. Diesen können Sie trainieren, indem Sie sich in Dankbarkeit üben. Zählen Sie jeden Abend an Ihren 10 Fingern ab, wofür Sie heute dankbar sind. Dies lenkt Ihre Gedanken von den „To do´s“ zu den „I have´s“. Das vermeintlich Selbstverständliche wird plötzlich sichtbar und sie bemerken, was Sie alles in Ihrem Leben bereits haben, wie „reich“ Sie sind. Ihre Körperhaltung spielt auch eine große Rolle um das Glas eher als halb voll zu sehen: mit aufrechtem, festen Stand und erhobenem Kopf erhält unser Gehirn per Botenstoffe Signale, dass es uns gut geht und wir die Herausforderungen meistern werden. Mit gesenkten Schultern und dem Blick auf den Boden gerichtet, wirkt alles viel negativer.   

Als einen weiteren zentralen Meilenstein gilt es Beziehungen zu pflegen und sich in sozialem Verhalten zu üben. Wenn wir anderen Menschen helfen, etwas Gutes tun, sie unterstützen – in einem ausgewogenen Maß natürlich- , sie wertschätzen und auch mal „danke“ sagen, tut uns das in der Rückkopplung – sogar über Botenstoffe vermittelt – selbst gut. Selbstfürsorge ist also alles andere als egoistisch.          

Suchen Sie sich aus den Anregungen eine Sache aus, die Sie spätestens in den nächsten 72 Stunden umsetzen werden und überlegen Sie, wie Sie sich an Ihr Vorhaben erinnern. Damit haben Sie den Grundstein für ein schönes, lebenslanges Projekt gelegt. Es macht Spaß und bringt Freude für Sie und Ihre Mitmenschen! 


[1] Procter & Gamble: Working Mom Studie 2017: Jede dritte Mutter fühlt sich alleinerziehend trotz Partner, https://www.presseportal.de/pm/13483/3622154, abgerufen am 12.9.2018